Mythologie

Der kretische Hund in der Mythologie

Die alten kretischen Mythen offenbaren die Liebe der Kreter zur Jagd, aber auch den Stolz auf die einzigartigen Eigenschaften des Kretischen Hundes, so daß sie ihn direkt mit ihrem höchsten Gott, dem kretageborenen Zeus (Κρηταγενής Δίας) verbinden. In Süd-Zentral-Kreta trägt Zeus den Beinamen "Skylios", von Skylos=Hund.
Die Religion Kretas in vorhellenischer Zeit ist weitgehend unbekannt. Als gesichert gilt jedoch, daß es bei den Minoern, wie bei den vorgriechischen Stämmen in anderen Teilen Griechenlands auch, einen Fruchtbarkeitskult gab. Neben verschiedenen Vegetationsgöttern spielte die „Große Göttin“ als Mutter der Erde eine tragende Rolle. Der Beginn der griechischen Mythologie spiegelt vermutlich den Kampf der alten matriarchalen Kultur mit der sie verdrängenden männlich orientierten Gesellschaft der Hellenen wieder.
Die dunkle Überlieferung von den Titanen stammt aus dieser fernen Zeit, die das Goldene Zeitalter genannt wird. Uranos, der Himmelsgott, zeugte mit Gaia, der Erdmutter, zwölf Kinder, die Titanen. Auf Uranos’ Geheiß wurden sie von Geburt an im Inneren der Erde verborgen gehalten und durften niemals das Tageslicht sehen. Der jüngste Sohn, Kronos, wurde von seiner Mutter Gaia mit einer Sichel bewaffnet und entmannte seinen Vater, so daß er die Herrschaft übernehmen konnte.


Pan mit Hund

Mit seiner Schwester Rhea hatte Kronos drei Töchter und drei Söhne: Die Göttinnen Hestia, Demeter und Hera und die Götter Hades, Poseidon und Zeus (griech.: Δίας). Aus Furcht, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Uranos, verschlang Kronos seine Kinder unmittelbar nach deren Geburt. Doch da ersann Rhea eine List: Nachdem sie ihren jüngsten Sohn Zeus in einer Höhle im Dikte-Gebirge auf Kreta zur Welt gebracht hatte, gab sie ihrem Gemahl einen in Windeln gewickelten Stein, den dieser sofort verschluckte. Das Kind wurde in einer Höhle im Ida-Gebirge versteckt und von der Ziege Amaltheia und der Honigbiene Melissa gemeinsam mit seinem Ziehbruder Pan großgezogen. Berggeister, die Koureten, lärmten mit ihren Schilden vor dem Höhleneingang, um das Geschrei des Neugeborenen zu verbergen. Der heilige goldene Hund, hergestellt vom Feuergott Hephaistos, leistete ihm Gesellschaft und bewachte ihn. Als Zeus herangewachsen war, gelang es ihm, Kronos ein Brechmittel zu verabreichen, so daß er all seine Kinder lebend erbrach. Gemeinsam mit seinen Geschwistern entthronte er seinen Vater und nahm dessen Position ein.
Der Hund bewachte fortan seinen Tempel, wurde aber dort von Pandareos gestohlen und zum Berg Sipylon in Kleinasien gebracht. Während Götter und Dämonen den Dieb suchten, versteckte Tantalos den Hund in seinem Palast. Als Pandareos später den Hund zurückforderte, behauptete Tantalos, ihn nie erhalten zu haben, denn er wollte den Hund für sich behalten. Beide wurden von den Göttern für diesen Diebstahl schwer bestraft: Pandareos wurde zu Stein, Tantalos mußte auf ewig Hunger und Durst leiden.


Obwohl Zeus mit seiner Schwester Hera vermählt war, hatte er viele Liebschaften, sowohl unter den Göttinnen, als auch unter den sterblichen Menschen. Als er die schöne phönizische Prinzessin (oder Göttin) Europa traf, verwandelte er sich in einen imposanten weißen Stier und verleitete sie dazu, sich auf seinen Rücken zu schwingen. Sofort sprang er ins Meer und schwamm mit ihr nach Kreta. Am Strand von Matala angekommen, nahm er die Gestalt eines Adlers an und verführte sie unter der immergrünen Platane bei Gortys. Drei Söhne entsprangen dieser Verbindung: Minos, Sarpedon und Rhadamanthis, die sich als Könige die Herrschaft über die Insel Kreta teilten, und Zeus machte seiner Geliebten Europa zum Abschied drei Geschenke. Er überließ ihr den Wächter Kretas, den Riesen Talos, der aus Erz gefertigt war und dessen Name in der alten Kretischen Sprache die Sonne bedeutete, und schenkte ihr einen Speer, der niemals sein Ziel verfehlte. Die dritte Gabe des Gottes an Europa war ein goldener Kretischer Jagdhund, von dem es hieß, daß seine Beute ihm niemals entkam. Er war ein Wunderwesen, in der Werkstatt des Schmiedegottes Hephaistos entstanden und hatte die Wiege des Zeuskindes und später sein Heiligtum bewacht.
Europa gab diesen einzigartigen Hund und den Speer an ihren Sohn Minos weiter, der sich inzwischen zum alleinigen Regenten über Kreta erhoben hatte.


Minos und der Hund

Minos hatte gerade eine Pechsträhne hinter sich. Seine Frau, Königin Pasiphae, war mit einem Stier fremdgegangen und hatte das Monster Minotaurus geboren, der fortan sein Dasein im Labyrinth von Knossos fristete. Sein Sohn Glaukos war in einen Topf Honig gefallen, aber vom Seher Polyeidos wiederbelebt worden. Ein weiterer Sohn, Androgeus, war nach seinem Sieg bei den Athenischen Spielen hinterrücks ermordet worden, und Minos verlangte von den Athenern als Buße sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen, die alle neun Jahre dem Minotaurus geopfert werden sollten. Der Held Theseus jedoch konnte den Minotaurus mit Hilfe von Minos’ Tochter Ariadne besiegen und nach Athen zurückkehren. Die verliebte Prinzessin nahm er mit, vergaß sie dann aber auf der Insel Naxos. Stattdessen heiratete er ihre Schwester Phaidra. Minos hatte zahlreiche Affären. Er war in Britomartis verliebt, eine Begleiterin der Jagdgöttin Artemis, deren Jagdhunde sie führte. Sie galt als Erfinderin des Jagdnetzes. Von Minos wollte sie jedoch nichts wissen, er aber verfolgte sie neun Monate lang, bis sie sich in ihrer Verzweiflung ins Meer stürzte. Fischer retteten sie, und Artemis machte sie zur Göttin, die unter dem Namen Diktynna verehrt wurde. Pasiphae war so erzürnt über die ständige Untreue ihres Gatten, daß sie ihn verzauberte: sein Samen verwandelte sich in giftige Schlangen, Skorpione und Tausendfüßler.


Artemis mit Hund

Als ihn eines Tages die Königstochter Prokris aus Athen besuchte, die gerade von ihrem Mann Kephalos verlassen worden war, verführte er sie, indem er ihr als Geschenk den Kretischen Hund und den Wunderspeer anbot. Als begeisterte Jägerin konnte sie nicht widerstehen, und sie kannte einen Trank, mit dem sie Minos heilen konnte. Als Knabe verkleidet ging Prokris zu Kephalos zurück, den Hund und den Speer nahm sie mit. Kephalos erkannte sie nicht, war aber von dem Hund und dem Speer so begeistert, daß er beide für viel Silber kaufen wollte. Sie gab ihm die Geschenke für einen Liebesdienst, bei dem sie dann ihre Identität preisgab. Wieder versöhnt, gingen beide gemeinsam auf Jagd. Der Hund hatte inzwischen einen Namen: Lailaps, der Sturmwind. Artemis, die über die Verschacherung dieser kostbaren Gaben zornig war, lenkte die Geschicke derart, daß Kephalos seine Frau aus Versehen mit dem Speer tötete. Er wurde zur ewigen Verbannung verurteilt und ging nach Theben.


Prokris und Artemis

In Theben wütete gerade die Teumessische Füchsin, ein Wesen, das nach dem Beschluß der Götter niemals gefangen werden konnte. König Amphytrion borgte sich von Kephalos den Hund Lailaps, um die Füchsin zu jagen. Der Hund, der seine Beute nie verfehlte, die Füchsin, die nie gefangen werden konnte; Wie sollte dieses Dilemma ausgehen? Zeus verwandelte beide in Stein, den Hund Lailaps jedoch nahm er später als seinen persönlichen Wachhund mit in den Olymp, heute ist er am Himmel als Sternbild „Großer Hund“ zu sehen.
Neben Lailaps am Sternenhimmel findet man den großen Jäger Orion. Er galt als Sohn des Poseidon und der Euryale, einer Tochter von Minos, und stand in enger Beziehung zu den wilden Jägern Kretas, dem Zagreus und der Artemis. Auf der Suche nach seinem Stiefvater Oinopion drohte er, alle Tiere der Erde auszurotten. Bei der Jagd auf Kreta wurde er von einem Skorpion gestochen, den die Erdmutter Gaia gesandt hatte. Artemis setzte den tapferen Helden als Sternbild an den Himmel.


Schlangengöttin

Artemis war die jungfräuliche Jägerin. Wer auch nur den Versuch machte, sie zu erobern, bekam ihre Rache zu spüren. So wurde der kretische Jäger Siproites in eine Frau verwandelt, nachdem er Artemis beim Baden beobachtet hatte. Für das gleiche Vergehen wurde Aktaion, der vom Kentauren Chiron zum Jäger erzogen worden war, von der Göttin in einen Hirsch verwandelt. Sie hetzte seine eigenen fünfzig Jagdhunde auf ihn, die ihn in Stücke rissen. Der Dichter Ovid nennt uns in seinem Gedicht über Aktaion Namen und Herkunft der Hunde: Der weise Ichnobates (Spürhund), ein Kretischer Jagdhund; Melampus (Schwarzfuß), aus Spartischer Zucht; Dorceus, Pamphagus und Oribasos aus Arkadien; Nebrophonos, Theron, Lailaps und Pterelas sind unübertroffen in ihrer Schnelligkeit; Agre (Jäger) zum Aufspüren; Hylaeus (Waldmann), kürzlich von einem Bären verwundet; Nape, eine schlanke Hündin, deren Vater ein Wolf war; Poemenis; Harpyia Sicyonius; Ladon; Dromas; Canache; Tigris; Sticte; Alce; Asbolos; Leucon; Lycisce; Cyprius; Lacon; Aello; Thoos; Melaneus; Harpalos; Labros und Argiodus hatten einen Kretischen Vater und eine Spartische Mutter; Hylactor; Melanchaetes; Theridamas; Oresitrophus und einige mehr.


Tod des Aktaion

Auch in der neueren Mythologie Kretas spielt der Hund eine tragende Rolle. Die heutige Stadt Chania hieß früher Kydonia, benannt nach dem König Kydon (oder Kydonas), von dem sie der Legende nach gegründet wurde. Kydon, Kyon oder Kynos waren die altgriechischen Wörter für Hund. Die Mutter von Kydon war eine Göttin, die das Kind gleich nach der Geburt einem Hirten überließ (oder in den Bergen aussetzte). Dieser zog das Kind groß, indem er es von einer Kretischen Jagdhündin säugen ließ. Auf einigen alten Münzen aus Kydonia ist diese Szene abgebildet.
Nach neuesten Erkenntnissen wurde der Name der Stadt später ins lateinische übertragen. Das lateinische Wort für Hund war Cane, in der Mehrzahl Canea, daraus wurde dann Chania.


Münze aus Kydonia

Kydon und Lailapa Gemälde des kretischen Künstlers Rousettos Panagiotakis


Es gibt unterschiedliche Versionen dieser Griechischen Mythen, wir haben hier die jeweils gebräuchlichsten wiedergegeben und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Literatur:
Nikos Psilakis, Kritiki Mythologia, Karmanor-Verlag, Herakleion
Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, Rowohlt-Verlag, Reinbek
Karl Kerenyi, Die Mythologie der Griechen Band I, DTV, München


Daß der Hund im alten Kreta von großer Bedeutung war, wird nicht nur durch die Überlieferung der Mythen und durch die zahlreichen Abbildungen belegt, sondern auch durch einen aufsehenerregenden Fund von Hundeskeletten in Roussolakos bei Palaikastro auf Kreta. Hier befand sich in minoischer Zeit die größte Siedlung Kretas, Elia, und eines der wichtigsten Heiligtümer des Diktäischen Zeus, in dem man den Siegelabdruck des "großen Jägers" ausgrub. Es zeigt einen Jäger mit zwei Hunden bei der Jagd auf eine Wildziege. Mythologisch repräsentiert er die Constellation Orion - Canis major - Canis minor. Die Britsh School of Archaology fand auf dem Gelände zwei ausgetrocknete Zisternen, die u.a. 28 vollständig erhaltene Hundeskelette aus der Zeit von ca. 1450 v. Chr. enthielten. Wie uns der leitende Archäologe Alexander MacGillivray erklärte, läßt sich an der Art ihrer Bestattung erkennen, daß ihnen große Verehrung zuteil wurde. Für die Minoer waren sie heilige Tiere, denn sie halfen bei der Jagd auf die Tiere, die der Gottheit geopfert wurden, Hasen und Wildziegen.


Goldring hergestellt aus dem Siegelabdruck von Roussolakos

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